Wörter – regenerativ und aussterbend
Bei Frauen
Wörter – bei Frauen sind sie nachwachsende Rohstoffe.
Sozusagen sogar regenerativ.
Die Energie, die für das Produzieren von Worten nötig ist, ist regenerativ.
Bei Männern wachsen sie nicht nach.
Wenn das Tageskontingent verbraucht ist, sind Männer still.
Wenn Frau Pech hat, hat Mann seinen Tages-Wort-Schatz bereits im Job verbraucht.
Nicht verpulvert.
Es war dann nötig.
Da waren Kunden, Kollegen, Mitarbeiter – sie alle wollten Wörter.
Und dann waren sie weg.
Männer machen dann den Fernseher an, wenn sie heim kommen. Manchmal sind da die fehlenden Worte zu finden, gibt es auch dort außer solchen wie „Krach, Peng, Bumm“ aber ebenfalls keine mehr. Zumindest keine brauchbaren mehr.
Und trotzdem – obwohl Wörter ja bei Frauen sonst keine Mangelware sind – es kommt vor, dass sie mir plötzlich fehlen, es mir die Sprache verschlägt. Da geht die Energie ins Leere. Die Produktion hakt. Manchmal ist dafür eine Fehlfunktion verantwortlich. Verursacht durch falsche Worte. Dann kann es vorkommen, dass mir mein ganzer Vorrat im Halse stecken bleibt. Manchmal kann ich noch ein paar aus den Tiefen meines WortSchatzes heraus würgen. Manchmal aber sind sie einfach weg.
Sind sie nachwachsende Rohstoffe
„Der beste Rat ist der Vorrat“, so sagt der Schwabe.
Nach 25 Jahren bin ich angepasst.
Und dachte mir, es kann nicht schaden, mir für solche Fälle vielleicht eine kleine Reserve zu schaffen. Eine kleine Reserve von Wörtern, die man immer mal brauchen kann.
Gut, wenn man Freunde hat.
Wer Freunde hat, hat auch Wörter.
Denn Freunde sind damit freigiebig.
Ein paar Wörter in Ehren kann niemand verwehren.
Ich fragte also, ob sie mir nicht welche abgeben könnten, die sie nur noch selten verwendeten und deshalb vielleicht nicht sehr vermissen würden.
Ich bekam „Schnepfenkotschinken“
Ich sah mir das Wort genau an. Von allen Seiten. Hatte Claudia gemerkt, dass sie mir im Grunde sehr viele Worte geschenkt hatte? Schnepfe und Kot, Schnepfenkot, Kotschinken, Schnepfenschinken, Schinken, Schnepfenkotschinken. Sind sieben Worte.
Die Sieben ist eine magische Zahl, die Glück bringt. Ich werde sorgsam damit umgehen und diese Wörter nicht unbedacht verschwenden.
„Fein“
Natürlich – „Fein“ ist ein wunderschönes Wort. Sozusagen ein feines Wort. Es wertet jedes Substantiv auf. Und lässt sich auch als Adverb verwenden. Und da ist der Haken. Vielleicht wollte Larissa mir das Wort gar nicht geben, sondern fand es nur „fein“, dass ich Wörter sammeln wollte? Hoffte vielleicht, dass ich so viele bekäme, dass ich sie gar nicht alleine verbrauchen und ihr dann welche abgeben könnte?
Egal – „fein“ ist trotzdem fein.
Ich denke gern. Bekam ich deshalb dieses Wort von Lisa?
„Hakuna Matata“.
Zwei Wörter und damit genug für Spekulationen. Wie sind sie zu betrachten? Als einzelne Wörter oder eher als zusammengesetzter Ausdruck? Wunderschön anzusehen. „Hakuna Matata“ zergeht auf der Zunge, wenn man es dort sachte hin und her bewegt, laut oder leise, hart oder weich. Was es tatsächlich bedeutet? Will ich es wissen? Nein – eher nicht. So kann ich träumen. Von einer Mutter mit Haken, einem Musikinstrument, mit dem man „tata“ oder ähnliches machen kann, von La Luna, der Reim:
Hakuna Matata
La Luna Karata
Tesana palata
die Sonne ist auch da…
Versucht gar nicht erst, es zu übersetzen. Es bedeutet nichts. Oder viel. Für jeden das, was er mag. Fantasie ohne Ende. Und es reimt sich.
Dieses Wort werde ich immer wieder vorholen, es angucken und damit spielen. Mit bunten Farben im Kopf.
Ich packe meinen Koffer und tue hinein: „bonne journee“ – zwei Worte zum Träumen.
Von einer Reise mit dem Flugzeug. Über den Atlantik auf eine Insel, Hummer essen, Wellen hören, Salzwasser riechen, liebe Menschen in den Arm nehmen. Das Wort liegt gleich ganz oben. Damit ich es greifbar habe, wenn ich es brauche.
„Kuhstall, Hundekorb, Katzenkuschelecke, Misthaufen“.
Ich hatte mir Wörter gewünscht und Wiebke hat gepackt. „Kuhstall“ rein. „Kuhstall“ wieder raus. Ist zu unhandlich. Der „Hundekorb“ ist praktischer. Wenn Wiebke zu Besuch kommt. Oder Claudia. Oder Bettina. Oder Susanne. Halt nein – Es soll ja ein Geschenk für Fienchen sein und Fienchen hat Katzen – „Hundekorb“ wieder raus, „Katzenkuschelecke“ rein. Ach egal, denkt Wiebke, ich kann mich nicht entscheiden. Pack ich eben alles rein. Und den Misthaufen oben drauf. Falls Fienchen mal einen Hahn kriegt. Man kann nie wissen, wann der Hahn kräht auf dem Mist…
„Ich hab die Wörter über“, sagt Wiebke, „Ich hab sie ewig nicht mehr gebraucht. Deshalb glaub ich, dass ich sie abgeben kann – Bitte. Für dich.“ Wiebke drückt mir das Paket in die Hand. Ich merke, wie sie zögert, überlegt und dann sagt sie: „Ach egal – nimm sie nur. Falls ich tatsächlich mal eins davon brauche, weiß ich ja, wo ich es finde.“
„Fußbodenschleifmaschinenverleih“
Das Wort habe ich in den vergangenen Jahren oft verwenden müssen. Deshalb war es jetzt nicht mehr da. Wir waren beim Fußbodenschleifmaschinenverleih, als wir 2010 unsere ganzen 200 Jahre alten Dielenböden abgeschliffen haben. Und 2013 wieder, als der Hagel… Na ja – alte Geschichte. Jetzt jedenfalls war das Wort weg. Verbraucht. Nicht verschwendet. Ich war verantwortungsvoll damit umgegangen. Maike hat mir ein neues geschickt. Für alle Fälle. Ich verwahre es aber in der untersten Ecke. Denn ich hoffe, dass ich es so schnell nicht wieder benutzen muss. Dann hält es auch länger.
Rainer hatte ein paar alte Wörter gefunden. Wörter, die niemand mehr benutzen wollte. Er sorgte sich.
Er befürchtete, dass sie bald aussterben würden. Wenn sie niemand benutzte, könnten sie sich nicht vermehren, keine Nachkommen groß ziehen. Und das wäre doch schade fand er und vertraute mir „Pardautz“, „blümerant“, „Bandsalat“, Fuchtel“, „kommod“, „Wählscheibe“, „Kleinod“, „Schlüpfer“, „Barbier“, „Flegel“, „Hupfdohle“, „Kreiswehrersatzamt“ und „Xanthippe“ an.
„Mach was damit“, sagte er, als er mir das Bündel in die Hand drückte. Und „Ich weiß, du wirst gut für sie sorgen.“
Da saß ich nun also und hatte ein kleines Häufchen Wörter auf dem Schoß. Ganz vorsichtig holte ich das erste vor. Ich wollte ja nicht, dass ihm etwas passiert.
„Pardauz“…
…
Plums – Pardauz – da war der Rekorder umgefallen.
Er war so auf die Kante gefallen, dass der Deckel aufgesprungen und die Kassette herausgepurzelt war. Das Kätzchen, das gerade vorbei kam, schnuffelte daran. „Kenn ich nicht“, dachte es, und versuchte es mit der mittleren Kralle des rechten Pfötchens. Erst stupfen. Dann zupfen.
Dann dran ziehen.
Noch mehr ziehen.
Macht fast so viel Spaß wie Frauchens Strümpfe weiter zu stricken. Allerdings – viel Lob hat Kätzchen dafür bisher nicht bekommen. Jetzt richtete Kätzchen Bandsalat an. Noch ein paar Tomaten und Zwiebeln rein schnibbeln und schon hat Frauchen ein schönes Abendessen.
„Nein – wie isses schön“, rief Frauchen dann auch aus, als sie ihrem Abendessen gegenüber saß. Doch bei dem Gedanken daran, das was da angerichtet war auch zu essen, wurde ihr leicht blümerant. Sie schob den Teller zur Seite. Schließlich wollte sie nicht den Eindruck erwecken, unter der Fuchtel ihrer Katze zu stehen.
Das Kätzchen hatte inzwischen den Wäschekorb und dort Omas Schlüpfer entdeckt. Nach dem pfotete sie mit ihren Krallen, zog ihn raus und schleppte ihn zur Kaminbank. „Hier hab ich es so richtig kommod“, fand das Kätzchen, kringelte sich auf dem Schlüpfer ein und mache die Augen zu. Öffnete das linke noch einmal und sah, wie Frauchen vor einem alten Telefon noch aus der Zeit der Deutschen Bundespost saß. Dieses schwarze Monstrum war ihr Kleinod, hatte sie behauptet. Und von Zeit zu Zeit drehte sie die Wählscheibe.
„Drrrrrriiiiiing“ schepperte das Ding kurze Zeit später. „Oh – Xanthippe“, rief Frauchen aus. Die Frau am anderen Ende des Telefons hat bestimmt X-Beine, wenn sie so einen Namen hat, dachte Kätzchen und schüttelte die Ohren. Damit es besser hören konnte.
„Ja, klar komm ich mit“, sagte Frauchen gerade. „Ich mag die Hupfdohlen“, freute sie sich. „Wir treffen uns um 18 Uhr. Ich muss vorher noch ins Kreiswehrersatzamt“, verabredete sich Frauchen.
„Wieder allein…“, seufzte Kätzchen einmal tief und drehte sich auf die andere Seite, schlief ein…
…
Habt ihr alle alten, vom Aussterben bedrohte Wörter gefunden? Dann dürft ihr sie behalten. Und benutzt sie. So oft wie möglich. Damit sie sich weiterentwickeln, Nachwuchs groß ziehen und weiter leben können …