„Wer im Wein die Wahrheit sucht, sollte nicht gleich nach dem ersten Glas aufgeben“

Es regnete nicht mehr. Tom wollte weiter.
Josefine dachte ebenfalls an den nächsten Standort am Ziel von Toms Wanderweg-Etappe, nicht weit weg von Piesport. L Punkt Klüger wohnte da. Sie würden den Ort gut mit dem Fahrrad erreichen können.

„In 200 Metern links abbiegen“

„Piesport, die Heimat des Goldtröpfchens“, prangte in großen Lettern auf einem Plakat gleich hinter dem Ortseingangsschild. Josefine schüttelte den Kopf. Wer dachte sich so einen Werbeslogan bloß aus?, wunderte sie sich, als sie auf dem Weg von Neumagen-Dhron nach Kesten durch den Ort kam.
Und dann war sie in Kesten.
„in 200 Metern links abbiegen“, erklärte die Frau im Navigationsgerät. Josefine zuckte die Schultern. Wo sollte sie da hin? Sie hatte keine Zeit, groß darüber nachzudenken. Erstmal musste sie auf die Straße achten. Der VW-Bus mit Überlänge war doch breiter und mit den Rädern hinten drauf auch länger als ihr Mini zu Hause. Und unübersichtlich war er auch. Immerhin piepte er beim Rangieren.
Sie bog links ab. Ein Wegweiser zeigte in die Richtung Monzel. Daher würde Tom kommen. Vielleicht war da ja ein Platz fürs Busle.
Der Weg war eng. Steil. Ging mit Kehren mitten durch die Weinberge.
Nein, da oben war nichts. Sie fand einen Parkplatz.

Minna bleibt in Sicherheit

Minna hatte sich inzwischen komplett in ihren Panzer zurückgezogen. Josefine hatte ihr jede Menge Zweige und viel Moos ins Terrarium gesetzt, damit sie unterwegs nicht so durchgeschüttelt wurde, doch die Schildkröte blieb skeptisch und verkroch sich lieber in ihren Panzer. Der gab ihr auf jeden Fall die Sicherheit, die sie sich wünschte.

„Na, mein Mädchen?“, redete Josefine auf das Tier ein. „Die Berge sind wohl nicht so dein Ding.“ Sie grinste. „Meins auch nicht“, sagte sie dann. „Wir mögen es flacher und mit viel Wasser, stimmts?“
Minna hatte gemerkt, dass sie nun offensichtlich wieder festen Boden unter den Füßen hatte und schob vorsichtig ihr Köpfchen wieder aus dem Panzer. Nachdem sie sich vorsichtig umgeschaut und festgestellt hatte, dass ihr momentan keinerlei Gefahr von keiner Seite drohte, nickte sie. Sie fand Berge überflüssig. Sie versperrten bloß die Sicht und daran vorbei oder oben drüber zu kommen war scheinbar selbst für Menschen mühsam.

Nachdem sich Josefine davon überzeugt hatte, dass es ihrer Schildkröte gut ging, wälzte sie erstmal Karten.
Sie hätte einfach weiter geradeaus fahren müssen, stellte sie fest. Da wäre ein Wohnmobilstellplatz gewesen.
Josefine stieg in ihr Busle, wendete und machte sich auf den Weg nach unten. Vorsichtig. Sie war nicht in den Bergen Zuhause. Auch nicht in den Weinbergen an der Mosel. Ihr waren die steilen und engen Straßen nicht geheuer

„Campen ist die Möglichkeit, die eigene Verwahrlosung als Erholung zu definieren“

Der Stellplatz war direkt an der Mosel.
Eigentlich schön gelegen. Doch was er nicht hatte, waren sanitäre Einrichtungen. Man könnte sich so stellen, dass man hinter einem Gebüsch vielleicht … Aber das würde nur fürs kleine Geschäft funktionieren. Und Tom würde duschen wollen, wenn er am Ziel angekommen wäre.
„Campen ist die Möglichkeit, die eigene Verwahrlosung als Erholung zu definieren“, hatte sie vor kurzem auf einem Reisemobil gelesen. Das hatte ihr gefallen. Aber gelegentlich, vor allem wenn man sehr geschwitzt hatte, war Duschen eben doch angenehm. Auch für die Muskeln.
Dieser Platz fiel also aus. So schön er auch war.
Josefine schnappte sich ihr Handy und rief Tom an.
„Du kannst entscheiden: Entweder wir bleiben in Kesten und verwenden das Portapotti oder ich fahr jetzt zurück nach Neumagen-Drohn. Dann ist dein Wanderweg heute eben früher zu Ende“, erklärte sie ihm.
Tom entschied sich gegen das Portapotti und für die Dusche und Josefine fuhr wieder zurück.
Josefine war es egal, von welcher Seite aus sie nach Piesport fuhr. Beide Wege waren ungefähr gleich weit.

Auf nach Piesport – in die Heimat des Goldtröpfchens

Sie checkte auf dem Campingplatz ein, fuhr die Markise aus und fand für Minna ein schönes Plätzchen im tiefen Gras gleich neben einer Hecke. Hier würde sie es schön haben, bis sie aus Piesport wieder zurück war.
Sie machte ihr Rad flott, packte ihre sieben Sachen und fuhr los.

Die Adresse, die L Punkt Klüger ihr gegeben hatte, war leicht zu finden. Ein Abschleppwagen und ein S-Klasse-Mercedes vor der Tür zeigten ihr, dass sie richtig war. Beide Fahrzeuge waren leuchtend rot lackiert. Der Schriftzug von Kfz-Klüger prangte in riesigen schwarzen Buchstaben mit weißen Konturen auf den Fahrzeugen.
Josefine parkte ihr Rad vor einem kleinen Einfamilienhäuschen. Ein bisschen spießig fand sie. Ein Vorgarten mit Buchsbaum, Gartenzwergen und Geranien. Der Flieder blühte.
Sie lief den kleinen Gartenweg entlang und stand schließlich vor der Tür. Sie drückte auf die Klingel. L. Klüger stand auf dem Schild daneben. Im Haus bellte ein Hund. Eine Männerstimme sprach auf das Tier ein. Dann klappte eine Tür. Der Hund bellte zwar nun immer noch, aber das Bellen war jetzt leiser.

Blond und blauäugig

Als sich die Haustür öffnete, sah Josefine als erstes ein paar himmelblaue Augen. Klüger war knapp einen Kopf größer als sie selbst. Eine Frisur war praktisch kaum vorhanden. Die verbliebenen drei strohblonde Stoppeln standen gut gegelt nach oben.  Der Mann trug eine knielange Jogginghose. In Rot. Das kurzärmliges Sweatshirt war ebenfalls rot. Ein dickes Goldkettchen und die Rolex am Arm passten ins Bild.
Und breit war er. Ein Schrank. Aber es waren nicht unbedingt alles Muskeln, die seine gewaltige Figur ausmachten. Doch trotz allem sah er aus, als könne er vor Kraft nicht gehen.
„Frau Stark, nehm ich an? Kommen Sie ruhig rein. Ich hab den Hund eingesperrt.“
Er lief vor in die Küche und schob Josefine einen Stuhl zurecht.
„Kaffee?“, fragte er dann, wartete die Antwort nicht ab und machte sich an der Kaffeemaschine zu schaffen.
„Der Hund ist an sich nicht aggressiv oder so“, erklärte er. „Er will einfach nur dabei sein.“ Er grinste schief. Der Eindruck entstand vielleicht durch die Nase, die er auch nicht wirklich mitten im Gesicht trug. „Er ist freundlich, aber lästig.“
Während Klüger mit Kaffee und Tassen hantierte blitzte an seinem linken Innenarm immer wieder eine Tätowierung auf. Halb war sie von dem kurzen Ärmel bedeckt. Es sah aus wie ein Reichsadler, überlegte Josefine. Aber sie war sich nicht sicher.
„Ich mag Hunde“, erklärte sie. „Ich hatte mal einen Airdale-Terrier. Ein lieber Kerl. Manchmal ein Dickschädel.“ Sie lächelte bei der Erinnerung an ihren Stroch. „Wegen mir müssen Sie Ihren Hund nicht einsperren“, erklärte sie und zuckte die Schultern. Der Hund hinter der Milchglastür, die vermutlich zum Wohnzimmer ging, bellte immer noch. Man sah die Umrisse des Tieres. Er war groß. Und dunkel. Das konnte sie sehen.
„Ach nein, ich möchte das lieber nicht.“ L Punkt Klüger schüttelte den Kopf.
„Was ist es denn für eine Rasse?“, wollte Josefine wissen. Irgendwie tat ihr der Hund leid, der so gerne bei seinem Herrchen wäre und nach dem Besuch sehen wollte, bestimmt wissen wollte, ob es einen Anlass gäbe, diesen zu beschützen.
„Ein altdeutscher Schäferhund“, antwortete Herrchen.
„Und wie heißt er?“
Nun grinste L Punkt. „Na ja – wissen Sie“, er lachte verschmitzt. „Sie wissen ja – ich komm aus dem Osten. Und da sind die Menschen mehr … also sagen wir mal … also politisch gesehen … ich mag Deutschland. Und das ist mir wichtig.“ Nun grinste er gewinnend von einem zum anderen Ohr. „Also Blondie konnte ich ihn ja nicht nennen.“ Er zuckte die Schultern. „Allein schon, weil es ein Rüde ist.“ Er sah Josefine mit einem offenen Lachen an. „Er heißt Bruno“, sagte er dann.
Josefine musste nun auch grinsen. Irgendwie mochte sie den Mann. Er war anders, als die meisten Menschen, die sie kannte. Und irgendetwas an ihm berührte sie. Was es war, konnte sie nicht sagen.

Leidenschaft für schnelle Autos

Sie versuchte sich auf die Dinge zu konzentrieren, wegen denen sie hier war.
„Wir listen hier die Leistungen auf, die Sie anbieten und dann hätte ich gerne noch etwas über Ihre Geschichte. Wie Sie an die Mosel gekommen sind, warum dies ihre neue Heimat geworden ist und vielleicht ein bisschen darüber, wie Sie wurden, was Sie sind.“
Klüger erzählte. Davon, dass seine Eltern einen Kfz-Betrieb im Osten gehabt hatten und dass er deshalb  mit Autos aufgewachsen war. Die Begeisterung für schnelle Fahrzeuge und für den Rennsport hatte er sich bis heute erhalten. Er erinnere sich immer wieder gern an seine Kindheit. „Das Leben in der DDR hatte auch eine ganze Menge Gutes.“ Er zuckte die Schultern und sah verträumt aus dem Fenster.
Josefine überlegte kurz. Ein Kfz-Betrieb in der DDR? In Privateigentum? Gab es das damals überhaupt? Doch sie wischte den Gedanken gleich wieder fort. So viel wusste sie eigentlich nicht aus diesem Teil der deutschen Geschichte. Es würde schon stimmen.
„Die letzten zehn Jahre habe ich im Ausland verbracht“, erzählte er. Dann hab ich im vergangenen Jahr Inga kennengelernt. Wegen ihr bin ich schließlich hier geblieben. Nächsten Monat heiraten wir.“

Zehn Jahre im Ausland

Wie romantisch, dachte Josefine, als sie die Geschichte aufschrieb. „Wo im Ausland waren Sie denn?“, wollte sie dann noch wissen. Klüger zögerte. Hat er vergessen, wo er war?, wunderte Josefine sich. Oder überlegt er, ob ich es wissen darf? Ein kleines bisschen merkwürdig kam ihr das schon vor. Als Klüger lange genug nachgedacht hatte, sagte er. „Rumänien.“ Er nickte. „Ich hab mir da ein Haus gekauft.“
Josefine machte sich noch ein paar Notizen, blätterte ein paar Seiten zurück. Dann fiel ihr wieder ein, dass sie ihn doch dringend nach seinem Namen fragen wollte. Fürs Impressum.
„Ich brauch noch ihren ganzen Namen“, erklärte sie deshalb. „Fürs Impressum.“
„Ich mag meinen Vornamen nicht“, sagte Klüger zögernd. „Muss das sein? Und überhaupt: Mir wäre es lieber, mein Name würde überhaupt nirgends auftauchen.“ Dann hatte er eine Idee. „Können wir nicht Ingas Namen nehmen? Sie heißt doch in ein paar Tagen auch Klüger. Der Firmenname Kfz-Klüger kann dann ja bleiben. Das erscheint mir klüger“, grinste er.
Ein Witzbold, dachte Josefine.
Sie sah ihn verständnislos an. Nein, eigentlich ging das nicht. Er war der Inhaber, oder nicht?
„Ich kümmere mich drum“, sagte er dann. Ich frag mal meine Anwälte, was wir da am besten machen sollen. Ich sag Ihnen dann sofort Bescheid.“
Damit war für ihn das Thema erstmal erledigt.
„Würden Sie mir denn bitte trotzdem sagen, wie Sie heißen?“, ließ Josefine nun nicht mehr locker. Sie war einfach neugierig. Sie wollte es wissen.
„Lukas“, sagte Klüger dann und sah Josefine beinahe schüchtern an. „Aber alle nennen mich nur Luke. Das ist mir lieber.“
Lukas – Luke – wo war denn das Problem? Josefine hatte das Gefühl, dass etwas anderes dahinter steckte. Der Name war doch völlig normal. Jedenfalls ganz und gar nicht peinlich.
„Ich heiße Josefine“, sagte sie dann. „Ich glaube, ich bin die Ältere. Dann bin ich es wohl, die das Du anbieten sollte. Ich habs jedenfalls nicht so mit dem Sie.“
„Ok – also Josefine“, sagte Luke, nickte mit dem Kopf und sah zu Boden.

Lukas oder Luke?

„Ach eine Bitte hab ich noch“, fiel ihm noch ein, als Josefine bereits ihre Sachen zusammen packte. „Könnten wir auch auf die Homepage schreiben, dass ich Mitarbeiter suche?“
„Klar. Was suchst du denn?“, fragte Josefine und packte Block und Bleistift noch einmal aus.
„Eigentlich ist es egal. Anpacken müssen sie können. Was sie für den Job brauchen, bringe ich ihnen schon bei. Aber deutsch sollen sie sprechen.“
Die Wiege er deutschen Sprache liegt in Sachsen, dachte Josefine. Das hatte sie mal irgendwo gehört.
„Deutsche Männer …“ Er sah Josefine treuherzig an. „Wenn Sie verstehen – äh – wenn du verstehst, was ich meine.“
Äh nein. Josefine verstand nicht. Wollte das nicht verstehen. Deutsch. Männer. Das kam ihr nicht in die Tastatur. Jedenfalls nicht so. Sie würde sich etwas einfallen lassen müssen.

„Ich besorg dir ein ordentliches Auto“

„Bis wann kann ich mit meiner Hompage rechnen?“, wollte Luke wissen, als Josefine ihre Sachen zusammen gepackt hatte.
„Na ja …“, sie zögerte. „Ich hab ja eigentlich jetzt Urlaub. Und da wollte ich …“
„Brauchst du Geld?“, fragte er und zog ein dickes Bündel Geldscheine aus der Tasche. Er zählte ein paar Scheine ab und schob sie Josefine über den Tisch.
„Ich kann doch nicht … Du hast doch noch gar nichts bekommen …“ Jetzt fang ich auch noch an zu stottern, dachte Josefine. Sie fühlte sich überrumpelt.
„Nun steck’s schon ein“, sagte er unwirsch stopfte die Scheine in Josefines Rucksack und schob den Rest seines Geldstapels wieder zurück in die ausgebeulte Tasche der roten Jogginghose. Er war aufgestanden.
„Wo steht ihr denn mit Eurem T6?“, wollte er noch wissen, als er Josefine zur Tür begleitete.
„Heute übernachten wir in Neumagen-Dhron. Morgen geht es weiter nach Bernkastel-Kues“, sagte sie und schloss ihr Fahrrad auf.
„Ich glaub, ich muss dir mal ein ordentliches Fahrzeug besorgen“, grinste Mike, als er Josefine mit ihrem Fahrrad sah. „Dann brauchst du nicht mit dem Rad zu fahren, wenn der Alte mit dem Auto unterwegs ist.“
Josefine grinste. Sie sagte nichts. Sie hatte das Gefühl, Erklärungen wären hier zwecklos. Dass Tom zu Fuß unterwegs war und sie gerne Rad fuhr, würde er vermutlich nicht verstehen.
„Lass mich mal machen. Ich kümmer mich drum“, sagte er augenzwinkernd, hob die Hand zum Abschied und sah Josefine nach, bis sie um die nächste Ecke verschwand.

Mit Tee und Blick in die Mosel

Als sie auf dem Campingplatz in Neumagen ankam, hatte Tom bereits Tisch und Stühle aufgebaut, seine dicken Wanderschuhe ausgezogen und es sich mit einem Tee vorm Bus gemütlich gemacht. Minna saß ihm zu Füßen in ihrem kleinen Gehege, das er ihr aus den Seitenteilen dreier alter Klappkartons gebastelt hatte und ließ es sich gut gehen. Sehr stabil sah es zwar nicht aus, aber Tom war sicher: Sollte Minna hier ausbüxen, würde er sie schnell wieder einfangen. So schnell war sie nicht. Aber sie sah auch nicht aus, als hätte sie ein gesteigertes Interesse daran, ihr Gehege zu verlassen.
Sie fand es angenehm. Mit echtem Rasen unter den Füßen, Gänseblümchen, Zweigen und Steinen und sogar ab und zu einem Käfer oder einem Regenwurm, der sich hierher verirrte.
„Du trinkst Tee?“, stellte Josefine mit einem Blick in Toms Tasse fest.
„Ja – magst du auch einen?“, fragte er.
„mmh ….“ Sie ließ sich auf einen Stuhl fallen.
„Das ist jetzt nicht wirklich eine Antwort“, sagte Tom und Minna fand das auch. Sie war auf einen Stein geklettert, der gerade groß genug war, so dass sie darauf Platz hatte und starrte Josefine an. Sie war neugierig. Sie wollte wissen, wie ihr Besuch bei Luke war.
„Ich hab noch heißes Wasser.“ Tom holte eine Tasse aus dem Schrank und schob sie Josefine rüber.
„Wie wars denn?“, wollte er nun wissen.
Josefine überlegte einen Moment.
„Anders“, sagte sie dann, öffnete ihren Rucksack und holte das Geldbündel hervor, das Luke ihr da hineingestopft hatte. Sie zählte. 1500 Euro in 50- und 100-Euro-Scheinen waren es. Dafür bekam man bei Starks schon ziemlich viel Webseite.
„Oha …“ Tom stieß einen leisen Pfiff aus. „was musstest du dafür denn tun?“ fragte er und grinste anzüglich von einem Ohr zum anderen.“
„Nix“, sagte Josefine ohne auf Toms Bemerkung einzugehen. „Bis jetzt noch nichts jedenfalls“, fügte sie hinzu und grinste nun ebenfalls.
„Das ist Vorschuss“, erklärte sie. „Jetzt werde ich wohl doch schon im Urlaub mit der Seite anfangen müssen. Ich hab ja hier alles, was ich brauche. Notebook und Internetanschluss sind da. Und auf meinen Server komm ich von hieraus auch.“
Tom zuckte die Schultern.
„Na wenn du meinst.“
„Es ist ein blödes Gefühl. Ich hab das Geld angenommen, also muss ich dafür auch etwas leisten. Und zwar genau das, was der Kunde will.“ Sie trank einen Schluck von ihrem Tee. „Irgendwie bin ich ihm das schuldig.“
Minna legte den Kopf schief. Du hast es doch aber gar nicht haben wollen, sinnierte sie. Sie ahnte nichts Gutes.
„Was ist das denn für ein Typ?“, wollte Tom dann wissen. „Wieso hat der dir denn einfach so viel Bargeld in die Hand gedrückt? Ohne Rechnung? Ohne, dass er etwas dafür bekommen hatte?“
„So genau weiß ich das auch nicht“, überlegte sie.
Aber ich, dachte Minna. Und das, was ich weiß, wüsste ich gern lieber nicht.
„Jedenfalls ist es eine – sagen wir mal – etwas zwielichtige Type. Von der Rockerszene hat er erzählt und er hat ein Reichsadler-Tattoo.“
Tom sah nicht sehr begeistert aus.
„Wer weiß, wo wir da hineingeraten sind, indem du das Geld angenommen hast.“

Minna weiß es besser

Minna sah besorgt von einem zum anderen. Sie wusste es. Und sie wusste auch, dass es eine langwierige Geschichte sein würde. Dann schnappte sie sich ein sehr kleines Krabbeltier, das sich auf ihren Stein verirrt hatte und fraß es auf.
„Ich hab versucht, es abzulehnen. Aber es ging nicht. Er hat es mir einfach in den Rucksack gestopft.“ Sie sah ihren Mann an. „Und eigentlich passt es doch auch ganz gut. Ein bisschen Urlaubsgeld. Steuerfrei“, grinste sie.
Und genau da war der Haken, dachte Minna. Nicht ganz legal. Und damit würde dieser Kerl Josefine und Tom eine Weile in der Hand haben. So lange, bis sie merkten, was da tatsächlich lief.
„Und eigentlich ist er kein schlechter Kerl“, überlegte Josefine.

Niemand ist ganz und gar böse, kommentierte Minna in Gedanken. Aber manchmal reicht auch ein bisschen böse. Wenn es böse überhaupt auf diese Art gab, wie Josefine es definieren würde.

„Er ist eigentlich ein dicker ungehobelter Teddybär. Mit blitzeblauen Augen. So blau, wie ich sie noch nie gesehen hab. Nicht einmal Terrence Hill hatte auch nur annähernd so hellblaue Augen wie er Typ. Ich würde sagen: Raue Schale – weicher Kern.“ Josefine dachte an die Mönkeberger Clique, mit der sie unterwegs gewesen war, als sie um die zwanzig war. Das waren auch Rocker gewesen. Ziemlich raue Burschen. Und manchmal flogen da die Fetzen. Doch Josefine war es bei diesen Kerlen eigentlich immer gut gegangen. Sie hatten sie behandelt, wie eine kleine Schwester. Alle hätten sie beschützt, wenn sie je von irgendjemandem bedroht oder ungerecht behandelt worden wäre. Die hätten dann nichts zu lachen gehabt.

Kopf einstecken und ab in den Panzer

Minna wandte ihren Kopf resigniert zur Seite. Man hätte es für Kopfschütteln halten können. Damals warst du zwanzig, dachte sie. Hübsch. Jung. Heute bist du über sechzig. Das macht vielleicht einen Unterschied. Andererseits überlegte sie, vielleicht würden sie ja heute in Mama sehen. Mama muss man schließlich auch vor dem Übel der Welt schützen. Es könnte also auch heute noch klappen. Nur, was war mit Tom? Es war eine Männerwelt. Und die wurden nicht geschont. Die mussten sich beweisen.
Am besten man zog schon mal den Kopf ein, dachte sie und versteckte auch alle Beine und das Schwänzlein gleich mit in den Panzer.

„Du bist und bleibst ein Träumerle.“ Tom schüttelte den Kopf. „Glaubst unbeirrbar an das Gute im Menschen. Hoffentlich täuschst du dich da nicht.“
Er sah Josefine an.
„Wir sind hier in dem ältesten Weinort Deutschlands“, sagte er dann. „Vor 2000 Jahren, als die Römer hier durchgezogen sind, haben sie die Weinreben mitgebracht. Wollen wir mal sehen, was aus ihnen heute geworden ist?“
„Ja, das könnte uns heute etwas Kraft geben“, schmunzelte Josefine und stand auf.
Sie hakte sich bei Tom ein, sagte „Tschüss mein Mädel“, winkte der Schildkröte noch einmal zu und dann verschwanden die beiden aus Minnas Sichtfeld.

Täglich eine warme Mahlzeit

Neumagen war einfach ein hübsches altes Örtchen. Es gab Weinstuben und Besenwirtschaften, Restaurants, Hotels und alle hatten sie den Wein im Ausschank, der hier in der Gegend wuchs.
Tom und Josefine fanden einen Weinkeller und probierten den Sekt aus eigenem Anbau. Dass es Flaschengärung war, schmeckte man sofort. Champagner von der Mosel.
„Der ist wunderbar“, lobte Tom das Getränk und strahlte die Weinbäuerin an.
„Ja, nicht wahr?“ Sie freute sich sichtlich darüber, dass es den beiden schmeckte. „Damit gibt mein Mann sich auch immer ganz besonders große Mühe“, sagte sie. „Und dafür bekommt er täglich eine warme Mahlzeit.“
Tom und Josefine lachten.
„Die krieg ich nicht“, schmollte Tom.
„Du machst aber auch keinen so guten Sekt“, neckte Josefine ihn.
Es gab Spätlese und Riesling. Einen Wein mit dem Namen „Engelsgrube“ und auch beim Italiener, bei dem die beiden eine Pizza aßen, gab es Wein.
„Ich fühle eine leichte Süße“, plapperte Josefine als sie sich bei Tom einhängte.
„Ich glaube ja eher, du hast einen Schwipps“, sagte er und grinste.
Sie fühlten sich wohl, als sie gemeinsam durch die Nacht zurück zum Campingplatz spazierten.
Minna öffnete nur ein einziges Auge, als sie die beiden kommen hörte. Dann schlief sie weiter.

Die Leber hatte anderes zu tun

In dieser Nacht gab es für Josefine jede Menge Traubenzucker und anderes Zuckerzeug. Der Blutzucker kam nicht in die Gänge. Josefines Leber hatte anderes zu tun, als sich um die Produktion von Glukose zu kümmern.
Gegen 6 Uhr stand sie auf.
Draußen war es gerade mal 1 Grad kalt. Zu kalt für Minna. Sie hatte ihren Stoffwechsel heruntergefahren und schlief.