Manchmal muss es Zucker sein
Die meisten Bäcker in Frankreich haben eine Backstube. Egal wie klein sie sind. Der Bäcker im Gewerbegebiet irgendwo zwischen Nancy und Strasbourg hatte ebenfalls eine. Man konnte den Bäckern beim Teig kneten zusehen, wie sie die Brote formten, die schließlich in den Öfen verschwanden. Es duftete verführerisch
„Möchten Sie das Baguette als Menü?“, wollte die Französin hinterm Tresen wissen.
Josefine sah die Dame ratlos an. Ihr Französisch war miserabel. Sie hatte kein einziges Wort verstanden. Vielleicht sollte sie die Sprache doch endlich mal lernen. Bisher war das nie ein Thema gewesen. Land und Leute näher zu kommen als unbedingt nötig, war Josefine nicht im Traum eingefallen. Seit dem Urlaub im vergangenen Jahr war das anders.
Ein Dessert zum Frühstück
„Die Frau möchte wissen, ob du dir zu deinem Baguette ein Getränk und ein Dessert wünschst.“
Ein Dessert. Josefine mochte alles, was süß war und das sah man auch.
Ich sollte nicht …, dachte sie kurz und dann zeigte die freundliche Frau hinterm Tresen auf eine Reihe wunderbarer Törtchen. Mit Obst, Mandeln, Marzipan, Schokolade, Caramel.
Josefine seufzte einmal tief und zeigte auf ein Törtchen mit ganz vielen Beeren. Dazu suchte sie sich zu ihrem Kaffee die zuckerfreie Cola aus. Natürlich waren bei Josefines Insulintherapie im Grunde auch zuckerhaltige Getränke möglich. Aber Josefine scheute sich davor. Süßigkeiten und Getränke, mit denen sie ihren Unterzucker wieder in den Griff bekommen konnte, waren bei anderen Gelegenheiten tabu. Warum das war, hätte sie nicht erklären können.
Kein Zucker in der Cola
Das Baguette war gut belgt. Groß. Das Törtchen sicher süß. Insgesamt schätzte sie ihr Frühstück auf locker mal 100 Gramm Kohlehydrate. Oder weniger. Wer wusste schon, was wirklich drin war. Josefine beschloss, sich langsam vorzutasten. Ihre Erfahrung war inzwischen: Mehr als 70, vielleicht 75 Gramm Kohlehydrate brachte sie nicht runter. Dann war sie satt. Deshalb machte es einfach keinen Sinn, mehr Insulin zu spritzen, als sie für sieben Kohlehydrateinheiten brauchte.
Sie aß das Baguette. Das Zuckerstücken ließ sie stehen. Es passte nicht mehr rein.
In Straßburg fanden sie schnell einen Parkplatz mitten in der Stadt. Die Sonne schien richtig warm. Sie freute sich drauf, durch die Stadt zu bummeln.
Josefine kramte in ihrer Handtasche
„Warte mal …“ Josefine war stehen geblieben und kramte in ihrer Handtasche.
Tom kannte das schon.
„Was ist los?“, fragte er deshalb besorgt.
„Mmh …“, brummte Josefine und kramte weiter.
„Kann ich dir irgendwie helfen?“
„Ich war sicher, ich hatte hier …“ brummelte Josefine vor sich hin und förderte Blocks, kleine, große, bunte Stifte, einen Füller, Schlüssel, das Handy zutage. Keinen Traubenzucker, keine Fruchtgummis.
Sie nahm das Handy. Zucker messen, dachte sie, wäre jetzt eine gute Idee. Der Scanner zeigte 54 mg/dl. Mit Pfeil nach unten. Er würde also weiter sinken.
„Ich weiß nicht…“, sagte sie dann. Sie sah ein bisschen ratlos aus.
Josefine stellte die Insulinpumpe aus. Für alle Fälle. Irgendwo würde es ein Café geben und dann könnte sie eine Cola trinke. Mit Zucker diesmal.
„Non – ferme“
Das erste Café auf dem Inselchen mitten in der Ille wollte gerade schließen. Im zweiten wurden ebenfalls gerade die Tische abgewischt.
„Non“, erklärte der Kellner. „ferme.“
Josefine war ein bisschen mulmig. Ob es gut ging? Bisher war ihr ja nie etwas passiert, egal, wie unbefangen sie mit ihrer Diabeteseinstellung umgegangen war. Aber es gab schließlich für alles ein erstes Mal. Sie fühlte sich etwas wackelig auf den Beinen.
Das Testgerät zeigte inzwischen „Lo“. Der Blutzuckerwert war nicht mehr messbar.
In den unteren Bereichen war es ungenau, beruhigte sie sich selbst. In Wirklichkeit, war der Wert sicherlich höher. Zumindest mit Sicherheit im messbaren Bereich.
„Guck, da ist ein Supermarkt. Setz dich da auf die Treppe. Ich besorg dir Saft.“
Tom zeigte auf die gegenüber liegende Straßenseite.
Josefine entspannte sich.
Alles würde gut werden.
Nach ein paar Minuten kam Tom wieder. Mit dem Arm voller Twix-Riegel und einer Flasche frisch gepresstem gekühlten Orangensaft.
Der Stadtbummel konnte beginnen.
Josefine war versorgt, der Zucker wieder m grünen Bereich.