Steile Straßen, enge Kehren – Josefine mag es flach

Josefine hielt sich krampfhaft am Lenkrad fest. Ihre Handinnenfächen waren inzwischen schweißnass.
Sicher eine super Motorradstrecke, dachte sie. Ihr Mund wurde trocken. Wenn jetzt bloß nicht so ein Biker um die Ecke raste, die Kurve schnitt. Am liebsten würde sie inzwischen die Augen zumachen. Aber das ging ja leider nicht. Sie musste sich konzentrieren.
Die Straßen waren schmal. Steil. Links und rechts säumten Bäume den Weg. Die Kehren waren unübersichtlich. Ein bisschen sah die Gegend aus wie im Schwarzwald. Wo war sie hier wohl. An der Mosel. Das war klar. Irgendwo zwischen Bernkastel und Traben-Trabach. Mit unübersichtlichen Kehren.
War das hier der Hunsrück? Die Eifel? Sie würde nachgucken, wenn sie irgendwo angekommen war.
Falls sie irgendwann irgendwo angekommen war. Bis jetzt sah es nicht unbedingt danach aus.

Nicht mit dem Motorrad und schon gar nicht mit dem Reisemobil

Josefine mochte solche Straßen nicht. Mit dem Motorrad nicht und schon gar nicht mit dem Reisemobil. Schön war die Landschaft ja schon. Das musste sie zugeben. Aber die Straßen waren eng.

Kaum hatte sie sich an die Straßenführung gewohnt und begann gerade sich ein bisschen zu entspannen, kam ihr ein Auto auf ihrer Spur entgegen. „Mistkerl! Du …“Mehr fluchen ging nicht. Sie musste sich konzentrieren. Stehenbleiben. Gut, dass hinter ihr niemand fuhr. Der wäre ihr bei der Vollbremsung bestimmt hinten reingebrettert.
„Diese Straßen wären ja ok – wenn ich alleine auf der Straße wäre.“

Spricht sie mit mir?, fragte Minna sich in ihrem Terrarium hinterm Rücksitz des Busses.
Das kann nicht sein. Ich bin nicht da. Sie hatte sich längst in einer Ecke unter Heu und Stroh vergraben und sich in ihren Panzer zurückgezogen, als sie in den ersten Kurven bereits Probleme hatte, sich auf den Schildkrötenbeinchen zu halten.
Sie sagte deshalb nichts. Aber das tat sich ja auch sonst nicht.

„Bin ich aber nicht“, zeterte Josefine weiter. „Ich hasse andere Autofahrer!“

Was für ein hartes Wort. Hassen. Minna hasste niemanden.
Sie schloss ihre Augen wieder und ergab sich weiter in ihr Schicksal.

Altstadt mit engen Gassen

Die Fahrt wurde nicht einfacher. Auch dann nicht, als Josefine Traben-Trabach erreicht hatte. Die Altstadt hatte enge Gassen. Es war nicht einfach, sich da durchzumanövrieren. Erst recht nicht, wenn ihr in den Kurven immer wieder parkende Autos den Weg versperrten. Aber es nützte ja nichts. Sie musste da durch.
Schließlich kam sie doch in Kreßbach auf dem Campingplatz an. Heil. Kein Kratzer war am Auto, Die Fahrräder auf ihrem Ständer unversehrt. Sie suchte sich zunächst ein schönes Plätzchen, an dem sie auch Minna in ihrem Gehege ein bisschen Auslauf bieten konnte, legte Zweige, Steine, Heu und Moos hinein und füllte ihre kleine Badestelle mit frischem Wasser. Begeistert ließ sich Minna hineinplumpsen.
Am liebsten wäre Josefine gleich los gefahren. Sie hätte sich gern die Stadt angesehen.
Aber dann wollte sie doch erstmal wenigstens das Grundgerüst von Lukes Seite fertig machen. Während der Fahrt waren ihr so viele Ideen durch den Kopf gegangen. Und die wären womöglich alle weg, wenn sie jetzt in die Stadt fahren würde.
„ Zwei Stunden höchstens“, versprach sie Minna. „Spätestens um 15 Uhr setz ich mich aufs Rad.“
Der Schildkröte war das egal.