Minna zog den Kopf ein
Das Making-OffEs passt nicht zusammen
Minna zog den Kopf ein.
Minna zog den Kopf ein.
Schon wieder flog ein zusammengeknülltes Blatt Papier quer durch die Küche.
Josefine saß am Tisch und seufzte schwer.
Sie hatte das iPad vor sich aufgebaut, den Ordner aufgeschlagen und schrieb.
Merkwürdiges System, dachte Minna.
Josefine schrieb ein Blatt voll, knüllte es zusammen, seufzte, warf es auf den Boden und beschrieb das nächste in die Hand.
Wozu sollte das gut sein?, wunderte sie sich.
Es geht nicht
„Wie sieht es hier denn aus?“, fragte Tom, der gerade in die Küche gekommen war.
„Ich hab Hunger“, sagte er.
„Kannst du mir sagen, wo ich hier noch Platz für ein Vesperbrot und Brot finde?“
„Nein“, sagte Josefine.
„Essen wird überbewertet.“
Tom bahnte sich einen weg durch den Blätterhaufen und setzte sich seiner Gattin gegenüber.
„Was machst du da?“, fragte er und schüttelte verwundert den Kopf.
„Es geht nicht“, seufzte Josefine.
„Es stimmt nichts. Von Anfang an nicht. Ich kann noch mal ganz von vorne anfangen.“
„Kann ich dir helfen?“
„Nein.“ Josefine knüllte ein weiteres Blatt Papier zusammen und warf es auf den Boden.
„Ich fürchte, ich muss da alleine durch.“
„Ok, dann mach ich mir jetzt ein Brot. Wenn du da ohnehin nicht weiter kommst, kannst du dein Zeug auch wegräumen.“Josefine schob alles auf einen Haufen und entsorgte den Papiermüll vom Fußboden in die Kiste, die dafür im Flur stand.
„Wo ist denn dein Problem?“, fragte Tom, während er den Käse in kleine Würfel und Tomate und Gurke in mundgerechte Stücke schnitt.
Gurke oder Papierbälle
Minna schob ihr Köpfchen wieder ein kleines bisschen aus ihrem Panzer und reckte den Hals in Toms Richtung. Von der Gurke hätte sie auch gern ein Stück. Lieber jedenfalls als Papierbälle.
„Deine Schildkröte hat Hunger“, wies Tom Josefine grinsend auf die Aktivität im Terrarium hin.
Dann schob er sich ein Stück Käse in den Mund, kaute genüsslich und sah Josefine abwartend an.
„Ich komm nicht weiter“, erzählte sie.
„Es kann gar nicht so gewesen sein, wie ich es mir vorgestellt habe.“ Josefine war immer davon ausgegangen, dass ihr Vater aus sehr ärmlichen Verhältnissen kam. Ihr Großvater war 1911 gestorben, als Erich gerade mal ein Jahr alt war. Ihr Vater hatte jede Menge Geschwister.
Geld für eine Kamera?
„Der erste verlorene Weltkrieg brachte für meine Mutter nur Kummer und Sorgen“, hatte er aufgeschrieben. Und „Wer Glück hatte, hat für 22 Pfennig Arbeit im Sägewerg gefunden.“ Eine zeitlang habe er da auch gearbeitet. Seine Mutter hatte Blaubeeren und Reisig gesammelt, um ihre Familie damit irgendwie über Wasser zu halten, hatte er erzählt.
„Wie passt es denn dann dazu, dass er mit 16 Jahren, also 1926, seine erste Kamera hatte und seitdem viel fotografiert hat? Das kostet doch Geld!“
„1926?“ Tom überlegte. „Acht Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs. Beginn der Weltwirtschaftskrise. Nein, da kann irgendetwas nicht stimmen. Das denke ich auch.“
„Und dann ist er 1930 im Frühjahr nach Berlin gegangen, weil er hoffte, da Arbeit zu finden. Aber auch dafür braucht man doch Geld! Die Zugfahrt von Osterode bis Berlin gab’s doch sicherlich nicht umsonst. Und zu Fuß wird er kaum gegangen sein. Dann brauchte er in Berlin eine Unterkunft. Und etwas zu essen. Hatte er dafür Geld? Und wenn ja – woher kam das?“
„Vielleicht ist er schwarz gefahren? Hat unter der Brücke geschlafen? Und das mit dem Essen – du hast doch selbst gesagt: Essen wird überbewertet.“
Minna sah erschrocken auf. Es wäre blöd, wenn sie auf ihre täglichen Salatrationen verzichten müsste. Josefines Zettel, die gelegentlich versehentlich in ihrem Terrarium landeten, waren auf Dauer nicht nahrhaft genug.
Geschichte um Erinnerungen
„Gut, ein paar Tage kommt man vielleicht ohne aus. Mein Vater war ziemlich kontaktfreudig und ist offen auf jeden zugegangen. Vielleicht hat er ja mit ein paar Obdachlosen unter der Brücke übernachtet. Bleibt immer noch die Sache mit der Fotografie. 1926. Das passt nicht.“
„Tja, ich fürchte, da kann ich dir tatsächlich nicht helfen. Lass deine Fantasie spielen. Wie fühlt es sich denn an? Schreib es genau so auf, wie es deiner Meinung nach hätte gewesen sein können. Ob es so war, ist doch jetzt sowieso egal. Es lebt doch niemand mehr, der weiß, wie es tatsächlich gewesen ist. Und außerdem ist es einfach eine Geschichte. Eine Geschichte, die du um die Erinnerungen deines Vaters herum gesponnen hast.“
„Weißt du was? Du hast Recht. Ich esse jetzt mit dir Abendbrot und dann fang ich noch mal an. Ich hab da auch schon eine Idee.“
Sie nahm das Brötchen, das er ihr über den Tisch reichte und lächelte zufrieden.
„Ach – und: Danke!“
Der Mann für gute und schlechte Zeiten biss in sein Käsebrot