Der Moselsteig – Etappe2: Palzem – Nittel
„So ein Mist!“, fluchte Josefine, als sie den kleinen Elektromotor ihres eBikes einschaltete. Gerade mal noch zwei Striche hatte der Akku, Reichweite im Eco-Modus noch dreißig Kilometer.
Die Schlüssel, die sie brauchte, um die Akkus herauszunehmen und im VW-Bus zu laden, waren nicht da. Vermutlich hingen sie zu Hause im Flurschränkchen.
„Und nun?“ Sie sah ein bisschen ratlos aus, fand Minna. Wo doch eigentlich Ratlosigkeit gar nicht zu ihren typischen Eigenschaften gehörte. Meistens sprühte sie vor Ideen. Nicht immer waren ihre Einfälle allerdings brauchbar.
Kein Schlüssel für die eBike-Akkus
„Deshalb zurück zu fahren und die Schlüssel zu holen wäre dämlich“, überlegte sie laut.
„Das wäre keine Option.“
„Frag doch Tina. Die hat doch einen Schlüssel für die Wohnung. Sie kann uns die Schlüssel doch schicken. Das geht sicherlich schnell.“ Tims Idee war unkompliziert. Josefine lief zu Hans an der Rezeption und fragte, ob sie sich die Schlüssel hier her schicken lassen konnte.
„Nehmen Sie die Postadresse“, sagte er und reichte ihr eine Visitenkarte. „Wenn Sie die Schlüssel an den Campingplatz schicken lassen, kann man nicht vorhersehen, was der Austräger damit macht. Er findet hier vielleicht niemanden und schickt die Post wieder zurück.
Ja, das kannte Josefine. Sie dachte an ihre Katheter, die vermutlich inzwischen zu Hause angekommen waren.
Dann eben zu Fuß
„Bleiben wir eben hier, bis die Schlüssel da sind“, erklärte sie Tom, als sie zurück war. Die Verbindung mit dem Zug von einer Etappe deines Moselsteigs zur nächsten ist hier prima. Und so lange ich meinen Akku nicht laden kann, bin ich eben zu Fuß unterwegs.
Man kann die Mosel auch ohne Rad genießen, fand Josefine und machte sich zu Fuß auf den Weg über die Brücke nach Remiche, nach Luxembourg. Es war warm. Tulpen blühten, Oleander, Kirschen und Weinreben. Josefine genoss den Tag.
„Schaffen wir es mit den Rädern bis zur Pizzeria?“, fragte Tom. „Oder wärst du vielleicht bereit, ein paar Kilometer auch ohne Elektroantrieb zu fahren?“ Er zuckte die Schultern. „Wir können auch laufen“, schlug er vor. „Oder hier bleiben und Brot essen.“
„Wir fahren“, entschied Josefine. „Wir schaffen das.“
Nacht ohne Gummibärchen
Die Nacht war angenehm. Bis gegen 3 Uhr. Dann war Josefines Zuckerwert wieder auf dem Weg nach oben. Wohin auch immer. Die Nacht davor hatte sie mit einer Tüte Gummibärchen verbringen müssen, weil der Wert einfach nicht in die Gänge kam. Sie hatte nichts verändert und trotzdem war diese Nacht genauso schlaflos. Die Werte waren nicht besser – nur anders.
Manchmal fand sie es ungerecht. Eine gute Blutzuckereinstellung – davon konnte sie nur träumen. Die Realität sah anders aus.
Sie dachte an einen Diabetologen, bei dem sie vor Jahren in Karlsruhe war. Damals hatte sie auch das Gefühl gehabt, sie konnte machen, was sie wollte – die Werte waren nie, wie sie es erhofft hatte.
Damals hatte der Mann gelächelt und den Kopf geschüttelt. „Schauen Sie nicht immer nach den zu hohen und zu niedrigen Werten. Schauen Sie sich die anderen an. Die, die genau im Referenzbereich sind. Das sind doch auch eine ganze Menge. Sie machen das gut.“
Der Mann hatte Recht, dachte Josefine, gab die passende Menge Korrekturinsulin ab und drehte sich auf die andere Seite. Letztendlich, dachte sie, ist alles eine Frage der Perspektive.
Dann schlief sie ein.